Teil 2: Glücksfall Hauskauf

Ein Glücksfall im engeren Sinne ist es eigentlich nicht gewesen, mein Hauskauf auf dem Land. Obschon der immerhin fünfstellige Betrag angesichts der Lage und der Größe des Grundstücks nach einem absoluten Schnäppchen aussah, gestaltete sich die Suche nach einem Kredit als schwierig bis unmöglich.

Bei der Wahl meiner ersten Anlaufstelle verriet ich mich gleich als Kind der 80er Jahre: Auf diese Steine können Sie bauen – Sie erinnern sich. Wer konnte zu Beginn meiner Odyssee auch ahnen, dass damit eher die Hindernisse gemeint zu sein schienen, die mir die bekannte Bausparkasse trotz absolut freundlicher Sachbearbeiterin in den Weg zu legen suchte.

„Da haben Sie aber mächtig Glück gehabt“, verriet mir Frau Strahl bei unserem ersten Gespräch in ihrer Bankfiliale. „In dieser Gegend gibt es wirklich selten etwas auf dem freien Markt.“ Frau Strahls Gesicht machte ihrem Namen alle Ehre. „Kann ich noch ein paar Fotos sehen?“ Frau Strahl, die die Ausstrahlung einer ebenso gutherzigen wie überforderten Mutter hatte, geriet ins Schwärmen. „Das ist doch ein Kirschbaum, oder?“ Ich nickte. „Wenn Sie Lust haben, können Sie mich gerne beim Pflücken unterstützen.“

„Vor den Kirschen kommt die Kohle!“ belehrte mich Frau Strahl und widmete sich wieder ihrer Datenbank. Der überdimensionierte Laptop auf ihrem Tisch machte ihr sichtbar zu schaffen. Mit einem Klicken und Klacken, das mich an die Klavierstunden meiner kleinen Schwester erinnerte, versuchte sie dem Gerät eine Lösung für meine finanziellen Bedürfnisse zu entlocken. Irgendwann gab sie sichtbar genervt auf, meine Schwester ebenso wie Frau Strahl. „Keine Sorge, ich mache das einfach von zu Hause aus.“

Nach einer knappen Woche erreichte mich die Aufforderung meiner Bausparkasse, Auszüge aus dem entsprechenden Grundbuch zu besorgen. Gesagt, getan. Die zuständigen Behörden, die sich als ausgesprochen kooperativ herausstellten, versprachen mir, sich rasch um die nötigen Unterlagen zu kümmern. Als ich zwei Wochen später schüchtern nachfragte, welche Definition von „rasch“ sie ihrer Schätzung zugrunde gelegt hatten, stellten sich die zuständigen Behörden als ausgesprochen ironiefern heraus. „Ein Amt ist kein D-Zug, junger Mann“, war alles, was ich bezüglich der neuen Frist in Erfahrung bringen konnte.

Sieben Tage später brachte ich die nötigen Unterlagen zu Frau Strahl in die Bankfiliale. „Wunderbar!“ empfing sie mich. „Dann können wir ja loslegen!“ Zwei Tage später erreichte mich folgende Email: „Wären Sie so freundlich, uns Auszüge aus dem Liegenschaftskataster zu besorgen?“ Ich zuckte. Vom gleichen Amt? Vom gleichen Amt, bedauerte Frau Strahl schriftlich. Die zuständigen Behörden stellten sich als ausgesprochen verlässlich heraus. Sowohl, was ihre Ironieferne als auch was ihre Geschwindigkeit betraf. Drei Wochen später brachte ich Frau Strahl die Pläne von der Lage des Grundstücks in ihr Büro. „Wunderbar“, bekannte sie. „Wunderbar“, hoffte nun auch ich.

Nach knapp einer Woche erreichte mich eine Mail. „Wir bräuchten dringend einen Lohnnachweis. Die letzten drei Jahre in Form von Kontoauszügen und Rechnungen.“ Ich nickte und versprach, mich um alles zu kümmern. Dafür reichte ein Wochenende daheim am Rechner. Dachte ich. Zwei Tage nach Abgabe aller Unterlagen folgte eine weitere Mail. „Wir brauchen nun doch noch eine Bestätigung Ihres Steuerberaters“, las ich. „Isch abe garrr kainen Steuerberater“, imitierte ich eine weitere Werbung aus meiner Kindheit. Frau Strahl reagierte mit mütterlicher Strenge. „Dann wird es aber Zeit.“

Das fand auch mein neuer Steuerberater. Zwei Wochen und etliche kostenpflichtige Beratungsstunden später schickte er Frau Strahl die entsprechende Bestätigung. Wollte man seinen Stundensatz auf die Länge des finalen Dokuments umlegen, so wäre ich mit einem Ghostwriter für die Biographie über das Leben von Maria Theresia wohl kostengünstiger davongekommen. Erschöpft erkundigte ich mich bei Frau Strahl nach meinem Darlehen. „Spätestens nächste Woche“, versprach sie mir. Erleichtert rief ich den Besitzer des Hauses an und gab grünes Licht. Danke für Ihre Geduld – letzte Dokumente – verständigen Sie schon mal Ihren Notar.

Zehn Tage später klingelte mein Handy. Ich strahlte, als ich die Nummer erkannte. Frau Strahl war eher zum Weinen zumute. „Es tut mir sehr leid, aber wir brauchen unbedingt noch Ihre finale Steuererklärung für das laufende Jahr.“ Wie bitte? Was ist mit der Bestätigung des Steuerberaters? „Meine Kollegen in der Zentrale… danke für Ihre Geduld… letzte Dokumente…“ Ich legte auf und warf mich auf meine Couch. War das noch ein Kaufprojekt oder bereits eine Schnitzeljagd?  Frau Strahl riet mir, mich nach einer anderen Bank umzusehen. „Ich will nicht, dass Ihnen das schöne Haus durch die Lappen geht.“

Ich dankte ihr für ihre Ehrlichkeit und sah mich nach Alternativen um. Wozu lebte ich im Turbokapitalismus? Wozu fand ich jahrein, jahraus ein marktschreierisches Kreditangebot nach dem anderen in meinem mit „Bitte keine Werbung!“ markierten Briefkasten vor? Das konnte doch nur ein Kinderspiel sein! Zwei Monate und vier Banken später verstand ich, dass ich nichts verstanden hatte. Frustriert rief ich meine Tante an und heulte mich aus. „An welche Laufzeit hast Du denn gedacht?“ fragte sie nach meinem Klagelied, „Zehn Jahre“, verriet ich. „Na mal sehen, ob ich das noch erlebe“, meinte sie. „Aber keine falsche Hoffnung: Ich verlange Zinsen – und ins Grundbuch will ich auch!“

Und so bin ich, Tante Else sei Dank, doch noch rechtzeitig zu meinem Notartermin gekommen. Ein Glücksfall ist es nicht gewesen, mein Hauskauf auf dem Land. Ganz im Gegensatz zu meiner Familie.

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